Parlamentswahl in Irland: „Ein sehr guter Tag für die Linke“

Die irischen Regierungsparteien, die nationalkonservative Fine Gael (FG) und Labour wurden für ihre Austeritätspolitik der letzten fünf Jahre von den Wähler*innen abgewählt. Es wird keine Neuauflage dieser Koalition geben. Landesweit stürzen FG um 10,6 %-Punkte auf 25,5 % und Labour um 12,8 %-Punkte auf 6,6 % ab, die Zahl ihrer nach der übertragbaren Einzelstimmgebung gewählten Abgeordneten sinkt von 76 auf 46 bzw. von 37 auf 6. Die Menschen gehen in Massen auf Distanz zum politischen Establishment.

Die Dynamik der Massenproteste gegen die Einführung von Wassergebühren und anderen Massensteuern und die Zusammenstreichung des sozialen Wohnungsbaus, die die radikale Linke anführt, hat die politischen Machtverhältnisse zugunsten einer linken Alternative gegen die pro-Austeritätsagenda der etablierten Parteien umgewälzt. Das antikapitalistische Wahlbündnis People Before Profit/Anti Austerity Alliance (PBP/AAA), erst im August 2015 gebildet, gewinnt 6 Sitze (genauso viele wie die Labour Party) und holt aus dem Stand landesweit knapp 4 %. Fünf weitere Sitze werden von anderen radikalen Linken gewonnen, die als Unabhängige angetreten sind.

No way, we won’t pay! – Nein! Wir werden nicht zahlen!

Die elf gewählten Kandidat*innen der radikalen Linken vereint die Unterstützung der Kampagne Right2 Water und ihr Aufruf zum Zahlungsboykott gegen die Wassergebühren, eine jährliche Massensteuer, die momentan 160 Euro für Einpersonenhaushalte und 260 Euro für Mehrpersonenhaushalte beträgt. Bis 2015 wurde die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung noch durch Gemeinden getragen und durch Steuern finanziert. Die Beiträge könnten schnell steigen, sobald der gesellschaftliche Druck nachlässt, denn momentan boykottiert ungefähr die Hälfte der irischen Bevölkerung die Zahlung der Wassergebühren. Die bisherige Regierung hat erfolglos versucht mit Preisnachlässen Haushalte zur Zahlung der Wassergebühren zu bewegen. Überall im Land bildete sich Widerstand von unten gegen die Zahlung der Wassergebühren und gegen die Installation von Wasseruhren, die teilweise nur durch polizeiliche Gewalt erfolgen kann.

rightwaterDie Einführung der Wassergebühren 2014 und die Gründung des staatlichen Wasserunternehmens Irish Water 2013, das droht zukünftig privatisiert zu werden, waren Teil des Memorandums des EFSF-Programms, das Irland im November 2010 unterzeichnete, nachdem die Vorgängerregierung aus Fianna Fáil (FF), Grüne und Progressive Democrats die Banken und der Anleihegläubiger vor der drohenden Pleite nach dem Platzen der Immobilienblase 2007 rettete.

In der Parlamentswahl ist diese Regierung damals abgestraft worden. Fianna Fáil, die Irland über Jahrzehnte zumeist mit absoluten Mehrheiten regierte, holte mit landesweit 17,4 % und 20 Abgeordneten, das niedrigste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Sie wurde nur dritte Kraft hinter Labour. Die bürgerlichen Medien stellen nun Fianna Fáil als Wahlsieger der Parlamentswahl 2016 dar, weil diese wieder etwas zulegen konnte. Tatsächlich ist es aber ihr zweitniedrigstes Wahlergebnis und keineswegs ein Zeichen alter Stärke.

Der eigentliche Wahlsieger ist die Anti-Austeritäts-Bewegung gegen die etablierten Parteien.

Weil die radikale Linke sich an die Spitze dieser Bewegung setzte, haben ihre Kandidat*innen bei der Parlamentswahl durch die Dynamik der Massenmobilisierung gewinnen können. Der Right2 Water-Kampagne ging seit 2013 die Right2 Housing-Kampagne voraus, die sich gegen eine Massensteuer auf Wohneigentum richtet und für mehr sozialen Wohnungsbau gegen die wachsende Obdachlosigkeit in Irland kämpft. Da in Irland die meisten Menschen ein kleines Eigenheim besitzen und der Marktwert durch die wieder anwachsende Immobilienblase so hoch ist, dass die Menschen kaum ihre Wucherkredite bedienen können, belastet diese Steuer auf Wohneigentum vor allem kleine Haushalte. Gebündelt wurden beide sozialen Kampagnen unter der Plattform Right2 Change.

Die landesweiten Stimmen von knapp 4% erscheinen zwar nicht viel bzw. noch kein Ausdruck einer Wechselstimmung zu sein, aber da Irland mit der übertragbaren Einzelstimmabgabe ein Form des Mehrheitswahlrechts hat, muss man auf die einzelnen Wahlkreise schauen, in denen Kandidat*innen der PBP/AAA und andere unabhängige Kandidat*innen der radikalen Linken beachtliche Erfolge erzielten:

‒ Richard Boyd Barrett (PBP) gewinnt im Wahlkreis Dún Laoghaire (südöstlich von Dublin), die meisten Gesamtstimmen vor den Kandidaten der Fine Gael. Sein Erfolg ist umso beachtlicher, da durch die undemokratische automatische Wiederwahl des Parlamentssprechers Seán Barrett (FG) in diesem Wahlkreis die Quote zur Wahl eines Kandidaten mit 25% besonders hoch liegt und Dún Laoghaire traditionell eine Hochburg der Fine Gael war.

‒ Ruth Coppinger (AAA) gewinnt im Wahlkreis Dublin West den dritten von vier Sitzen, souverän vor der Labour-Vorsitzenden und stellvertretenden Ministerpräsidentin Joan Burton, die sich nur knapp den vierten Sitz vor Paul Donnelly (SF) noch sichern kann.

‒ Mit Gino Kenny (PBP) wird erstmals ein langjähriger Aktivist im Wahlkreis Dublin Midwest gewählt, der dort selbst in den Arbeitervierteln aufgewachsen ist.

‒ In Dublin South-Central gewinnen gleich zwei linke Aktivistinnen, Joan Collins (Independents4Change) und Bríd Smith (PBP) jeweils einen von vier Sitzen. In einem Wahlkrimi, der sich durch Neuauszählungen über vier Tage hinzieht, gewinnt Bríd Smith schließlich mit 35 Stimmen Vorsprung den vierten Sitz gegen die Kandidatin der Fianna Fáil.

Von der Orientierung auf soziale Bewegungen lernen

Die Opposition unter den etablierten Parteien, die linksreformistische Sinn Féin („Wir selbst“), kann bei den Parlamentswahlen nicht wesentlich zulegen. Sie holt zwar mit landesweit 13,8 % und 23 Abgeordneten 3,9 %-Punkte und 9 Abgeordnete mehr gegenüber 2011, bleibt jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das liegt vor allem daran, dass sie selbst mit der Austeritätspolitik in Verbindung gebracht wird. In Nordirland setzt Sinn Féin in der sektiererisch zusammengesetzten Exekutive mit der unionistischen DUP und zwei kleineren Parteien selbst Austeritätspolitik durch. Sinn Féin, die Schwesterpartei der Partei Die Linke, unterstützt zwar auch die Right2 Water-Kampagne, sie ruft jedoch nicht aktiv zum Boykott der Wassergebühren auf. Stattdessen verspricht sie für den Fall, dass die Mehrheitsverhältnisse eine linke Regierung unter ihrer Führung hervorbringen, sie die Wassergebühren abschaffen werde. Im Süden war nach den Umfragen nicht zu erwarten, dass eine linke Partei in den Regierungsstand kommt, wenngleich die linksreformistische Sinn Féin mit einer Beteiligung als Juniorpartner in einer Koalition mit der nationalliberalen Fianna Fáil liebäugelte, was beide nun nach der Parlamentswahl ausgeschlossen haben (von den Mehrheitsverhältnissen her auch nicht möglich). Sinn Féin begeht dabei denselben Fehler wie die anderen linksreformistische Parteien in Europa, sie versprechen den sozialen Bewegungen gegen die Austerität einen Wandel der Politik von oben, sobald sie in die Regierung gewählt werden, sie unterschätzen die Fähigkeit einer kämpferischen Arbeiter*innenklasse für sich durch ihre Organisation eine Gegenmacht zu mobilisieren und sie überschätzen die Möglichkeiten einer Transformation des kapitalistischen Systems über die Institutionen der EU, was am Scheitern von PASOK und SYRIZA deutlich wird.

Die radikale Linke in Irland hat sich dagegen in die sozialen Bewegungen gegen die Austerität eingebracht um darüber einen politischen Wandel zu erkämpfen. Die politische Elite fürchtet das gewaltige Potential dieser Massenbewegungen, die sich nicht nur gegen die Wassergebühren richten. Jüngst gab es auch in Irland den Versuch mit Pegida Ireland eine rassistische Bewegung zu etablieren, was phänomenal durch die Gegenmobilisierung aus der Anti-Austeritäts-Bewegung abgewehrt werden konnte. Die wenigen dutzend Rassisten wurden von einer antirassistischen Massenmobilisierung aus dem Stadtzentrum Dublins verdrängt. Die bürgerlichen Medien, vor allem die konservative Irish Times, berichtete darüber kaum und ließ die Anführer*innen der Bewegungen, vor allem die Abgeordneten der PBP und der AAA, die zugleich das Sprachrohr der Bewegung in Parlament und Öffentlichkeit sind, kaum zu Wort kommen. Sogar in den Wahlumfragen wurden ihre Ergebnisse unter „Unabhängige/Andere“ zusammengefasst, obwohl dieser Balken größer und größer wurde. Erst nachdem in den Umfragen ein sich abzeichnender Erfolg des Wahlbündnisses PBP/AAA nicht länger leugnen ließ, lud der nationale Fernsehsender RTÉ ONE auch PBP/AAA zu einer „leader’s debate“ ein. Richard Boyd Barrett (PBP) sprach dort für das gemeinsame Wahlbündnis und brachte die gemeinsamen Kernforderungen ein.

Die bürgerlichen Medien versuchten stattdessen eine Rechtsabspaltung von Fine Gael, Lucinda Creightons Renua Ireland, ähnlich wie die AFD in ihrer Anfangszeit als politische Kraft aufzubauschen. Das Scheitern von Creighton und Renua in der Parlamentswahl war das Verdienst der Mobilisierung der sozialen Bewegung Right2 Change. Hierin besteht meines Erachtens auch eine wichtige Lehre für die deutsche Linke aus der Entwicklung in Irland. Die rassistische Gefahr, die von der AFD ausgeht, ihr drohender Einzug in drei Landesparlamente, kann nur durch eine breit angelegte antirassistische Kampagne gestoppt werden.

Die große Wahlverliererin ist Labour!

In Jobstown, südwestlich von Dublin, kam es im November 2014 zu einem Protest gegen die Wassergebühren. Der Dienstwagen der stellvertretenden Ministerpräsidentin Joan Burton (Labour) wurde dabei an der Weiterfahrt gehindert. Die Demonstrierenden wuchsen schnell auf mehrere hundert Menschen an. Als die Polizei drohte die Versammlung gewaltsam auflösen zu lassen, verhandelte der Abgeordnete Paul Murphy von der radikallinken AAA zwischen ihr und den Protestierenden. Einige Zeit später wurden er und 27 andere Aktivist*innen morgens früh von der Polizei von Zuhause weg verhaftet und stundenlang verhört. Sie wurden wegen ihrer Blockade der „Freiheitsberaubung“ von Joan Burton beschuldigt, ein klarer Fall von politischer Verfolgung, der sich gegen die Anti-Wassergebühren-Bewegung richtete.

Solche Proteste gegen Wassergebühren und gegen andere Massensteuern, für mehr sozialen Wohnungsbau und gegen die Privatisierungen im Gesundheitssystem politisierten in den letzten Jahren immer mehr Menschen in Irland: 2015 gab es in Dublin zwei Massendemonstrationen der Bewegung Right2 Water, an denen bis zu 100.000 Menschen teilnahmen, die wahrscheinlich größten Massenaktionen seit der irischen Revolutionsphase 1913-1923. Zugleich wurde immer mehr Menschen bewusst, wie weit sich insbesondere die Labour Party, die von sich behauptet in der Tradition des revolutionären Sozialisten und Marxisten James Connolly zu stehen, von ihren sozialen Forderungen entfremdet hat, sie verraten und verkauft hat. Labour, in der Parlamentswahl 2011 noch der Hoffnungsträger vieler prekär beschäftigten Lohnabhängigen, wurde von den Menschen nun für ihren Verrat bestraft. In einigen Wahlkreisen verliert Labour beinahe 30 %-Punkte gegenüber dem Ergebnis von 2011.

Nach der Wahl: Wie weiter?

Die einst großen Volksparteien, deren Wurzeln in der Konterrevolution des irischen Bürgerkriegs liegen, Fianna Fáil, die Irland über 70 Jahre regiert hat, und Fine Gael, die sich mit dieser in der Regierung immer mal abgewechselt hat, kommen nun zusammen nur noch auf 45,9% (im Vergleich 1982: 84,5 %). Der historische Klassengegensatz, der einst zwischen ihnen bestand (FF vertrat das Kleinbürgertum, FG die Großgrundbesitzer und die Bourgeoisie), ist längst aufgehoben. Sie sind beide neoliberale Parteien, die sich in ihrer Pro-Austeritätsagenda nicht voneinander unterscheiden. Eine gemeinsame „Große Koalition“, die momentan einzig denkbare Regierungsbildung, würde zum weiteren Zerfall ihrer Parteien führen. Das ist auch ihren Führern klar. Die Option der Neuwahl ist also nicht ausgeschlossen, sie scheint sogar wahrscheinlich.

Der Erfolg des antikapitalistischen Parteien PBP und AAA hängt unmittelbar mit ihrer revolutionären Strategie und Praxis als Bewegungspartei zusammen. Mit sechs Abgeordneten verpassen PBP/AAA zwar knapp die notwendige Anzahl von sieben Abgeordneten um eine Fraktion zu bilden, was ihnen mehr Rederecht eingebracht hätte, aber wenn es bald zu einer Neuwahl kommen sollte, hat das Wahlbündnis PBP/AAA beste Chancen, aus der Dynamik der Anti-Austeritäts-Bewegung von Right2 Change heraus ihr Ergebnis noch zu verbessern.

Ein Artikel von Frank Mac Shimidh

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Eine Antwort

  1. Zeugenaussage des Darlehensangebotes

    Ich bin Frau Carina Baur ich war an der Forschung des Gelddarlehens seitdem
    mehrere Monate. Aber glücklicherweise sah ich Zeugenaussagen gemacht von
    viele Personen auf Frau Visentin Paola so habe ich es kontaktiert
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    neuer es ist planiert von einfachem und sehr verständnisvollem Herzen. Hier sind
    elektronische Post: visentinpaola96@gmail.com

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